Martinsprojekttag


Es wird einfacher“

Kinder der Evangelischen Grundschule teilen Zeit, Freude und Kraft

 

Teilen, das heißt meistens: Abgeben. Also weniger für mich. Unschön. Zum Glück wohnt in jedem Teilen auch Freude. Das lehrt alljährlich der St.-Martinstag. Die Volksstimme hat sich auf Gut Lüben angeschaut, wie das Wunder funktioniert. Von Kathrin Wöhler

 

Die arme Lotte. Wie ärgerlich. Freddy, ihr Sandkastenkumpel, hat ihren winzigen Schokoriegel entdeckt, den sie in ihrer Hand hütet. Und nun will er etwas davon abhaben. Er bittet, bettelt fast, schubst sie sogar ein bisschen und redet auf sie ein. Dann besinnt er sich. „Lotte, erinnerst du dich an den Tag, als du eine Sandburg bauen wolltest?“ Lotte erinnert sich. An die vergessene Schaufel. An Freddy, der ihr seine Lieblingsschippe geliehen hat. Weil sie doch Freunde sind. Und an die herrliche Sandburg, die daraus entstand.

 

Wir sind in der Aula der Evangelischen Grundschule Burg auf Gut Lüben. Ute Mertens, Superintendentin des Kirchenkreises Elbe-Fläming, lässt gemeinsam mit dem angehenden Pfarrer Yoo-Jin Jhi die Puppen sprechen. Schnell wird klar: Teilen stärkt die Gemeinschaft, nur nennt das hier niemand so. Die 70 Schülerinnen und Schüler verstehen die Botschaft trotzdem. Teilen mag nicht immer einfach sein, und freiwillig Schokolade abzugeben, überfordert manch einen Sechs- oder Achtjährigen. „Aber wenn die Kinder einmal gespürt haben, dass Glück zurückkommt, und Dankbarkeit, dann wird es einfacher“, sagt Ute Mertens. Und Yoo-Jin Jhi ergänzt: „Und wer gibt, bekommt das irgendwann zurück.“

 

Der Berg wächst

Seit vier Jahren schwärmen die Schüler nach der Morgenandacht am St.-Martin-Projekttag in Burg aus, um Menschen mit Gaben zu verwöhnen, Zeit und Kraft zu teilen. In der Aula stapeln sich deshalb Kisten und Taschen mit Spielzeug- und Kleiderspenden, ein Kreis aus Geteiltem rings um die Kerzen in der Mitte. Jedes Jahr wachse der Berg, sagt Lehrerin Uta Conrady, ebenso wie die Schar an Eltern, die hilft.

 

Dann geht´s los. Ein Transporter des Diakonischen Werkes parkt vor dem Eingang, es geht ans Einladen der Spenden und dann zurück in die Stadt. Kinder und Eltern sortieren dort alles sorgfältig, das Spielzeug kommt auf den Gabentisch für die Weihnachtsfeier. „Es gibt so viele bedürftige Familien in der Stadt, die Freude wird auch diesmal wieder groß sein“, erzählt Roswitha Richter, stellvertretende Leiterin der Tafel, des Möbellagers und der Kleiderkammer der Diakonie Burg. Meist seien es Flüchtlingskinder, die mit großen Augen am Gabentisch stünden, doch die Tür sei für alle Kinder offen, betont Roswitha Richter. „Wir wünschen uns, dass auch einheimische Familien zu uns kommen und für ganz, ganz kleines Geld Kleidung und Schuhe kaufen.“ Hilfe anzunehmen, sei keine Schande.

 

Einer würfelt, einer setzt

Autotüren klappen, aufgeregte Kinder hopsen umher, ordnende Stimmen von Eltern und Lehrern. Team Seniorenheim hat eben noch geübt, um den Bewohnern in der alten Kaserne ein Ständchen zu bringen. Auch Bewegungsspiele stehen auf dem Plan. Hier geht´s um Kräfte teilen. Ein anderes Team fährt zur katholischen Kita, um mit den Kleinkindern den Klebestift zu schwingen.

 

Das Seniorenheim „Stadtblick“ und die Demenzstation „Käthe-Kollwitz-Haus“ auf Gut Lüben bekommen Besuch von Kindern, die zum Basteln und Brettspielen auffordern. Im Gruppenraum sitzen vier Senioren um ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel. Eine Frau spricht verwischt, ist nicht mehr zu verstehen. Aber das stört nicht, das Mädchen an ihrer Seite hat sich längst mit ihr verbündet und setzt begeistert, was die alte Dame würfelt. Hier verschenken die Schüler Aufmerksamkeit, und Spielfreude.

 

Neun Hörnchen für 90 Leute

Bringt das alles wirklich etwas? Verändert ein solcher Tag die Haltung der Kinder? „Vielleicht nicht der eine Tag“, erzählt Ute Mertens. Und schmunzelt. „Wir sagen es einfach immer wieder. Aber wenn ich den Kindern zuhöre, was sie von ihrem Tag berichten, bin ich voller Hoffnung.“ Sie klingt ein wenig getragen, aber zu einem Tag des Gebens gehören solche Worte. Glaube hin oder her.

 

Pfarrerin Mertens zieht es jetzt ins Hortgebäude. Hier wird gebacken. Plätzchenduft in der Luft, albernes Lachen aus der Küche, Mehl auf den Nasen und Wangen der Kinder. Knapp 200 Martinshörnchen für die Tafel Burg werden am Mittag vor den Bäckern stehen, plus neun für sämtliche Eltern, Schüler und Lehrer. Neun für 90, wie soll das gehen? „Es reicht, weil alle unheimlich sorgfältig teilen“, erinnert sich Hortleiterin Alisa Müller an den vergangenen St.-Martinstag. „Die Kinder nehmen sich nur Ministückchen – meistens“, ergänzt sie, und alle lachen. Manch einer lässt sich dann doch vom Duft der Hörnchen verführen...

 

Eine Stunde ohne Sorgen

Pfarrerin Mertens atmet noch einmal genüsslich den Duft frischen Backwerkes ein, dann schaut sie beim Mutter-Kind-Haus „Fiducia“ (lat. Vertrauen, Zuverlässigkeit) auf dem Gelände des Gutes vorbei. Ein Neugeborenes schläft auf der Couch, ein Kind hockt unter dem Tisch, ein Baby liegt lächelnd in einer Babyschale. Die Schulkinder kleben und schnippeln mit den Müttern Frösche mit rosa Punkten, eine Gruppe mal ein Bild für die Bewohner. Eine Auszeit für die leidgeprüften, teils noch sehr jungen Frauen, die hier ihre Elternzeit im geschützten Raum verbringen. Und lernen können, das Leben zu meistern. Eine flüstert: „Zwei meiner Kinder sind auch in der Schule – ich freue mich so, wenn ich sie zurück bekomme.“ Hier teilen die Kinder ihre unbelastete Fröhlichkeit, streuen ihre Unbeschwertheit in den Vormittag.

 

Es geht nicht allen so gut wie uns. Auch das nehmen die Kinder mit“, weiß Ute Mertens. Abgeben, das hilft anderen Menschen. Am St.-Martinstag, und danach. Immer wieder.

Kathrin Wöhler

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